Charlotte Reinicke

Studium in Greifswald
Humanmedizin

Zeitraum
November 2023 bis März 2024

Aktivität im Ausland
 Chirurgisches Tertial im Centre Hospitalier Universitaire de la Guadeloupe

Wieso ich ins Ausland gegangen bin?
"In einer globalisierten Welt, in der ich als zukünftige Ärztin zunehmend mit internationalen PatientInnen kommunizieren werde, möchte ich sicher, empathisch und respektvoll in mehreren Sprachen kommunizieren und arbeiten können. Insbesondere da ich mir vorstellen kann im Verlauf meiner beruflichen Karriere im Ausland für Hilfswerke zu arbeiten und Französisch eine der meistgesprochenen Sprachen weltweit ist, ist der sichere Umgang der Sprache für mich von Bedeutung. Die Chance, auf Guadeloupe zu studieren, bietet mir die einzigartige Gelegenheit in das französische Gesundheitssystem einzutauchen und gleichzeitig tropenmedizinische Fälle zu erleben und zu behandeln."


Vorbereitung und Ankunft

Salut!

Da ich gerne in der Lage wäre auch auf Französisch als Ärztin zu arbeiten, plante ich mein PJ-Tertial im französischen Ausland zu absolvieren, am liebsten irgendwo weit weg im Warmen. So habe ich verschiedene Kliniken der französischen Überseedépartements angeschrieben und ziemlich schnell eine formlose Bestätigung vom Chefarzt der Chirurgie auf Guadeloupe erhalten. Erasmus zu beantragen war sehr unkompliziert, da macht es einem die Uni Greifswald glücklicherweise sehr einfach, die nötigen Papiere der Klinik auf Guadeloupe zu bekommen dagegen schon etwas schwerer, aber irgendwie hat dann doch alles noch rechtzeitig geklappt. Finanzen, check.

Außerdem hatte ich schon vorab in anderen Erasmus-Berichten zu Guadeloupe gelesen, dass man ohne Auto nicht über die Insel kommt. Da hatte ich etwas Glück und kam über einen alten Bericht an eine günstige Autovermietung (WestIndies), deren Seite mich zum Glück nicht abgeschreckt hat. Auto also auch, check.

Über eine Facebook-Gruppe hatte ich schon vorab Kontakt zu anderen PJlerInnen aufgenommen. Das war praktisch und so bin ich auch an meine WG gekommen. Dachte ich zumindest, denn wenige Wochen vor meiner Abreise sagte mir plötzlich der Vermieter ab. Im Nachhinein war das für mich ein totaler Glücksfall, denn über leboncoin.fr (im Prinzip das französische Ebay Kleinanzeigen), habe ich dann ein Zimmer in dem Haus gefunden, in dem ich nun lebe. Und das ist wirklich das Paradis - sofern man keine Probleme mit Fröschen auf dem Geschirr hat, das Haus hat nämlich im Prinzip keine Wände. Unterkunft, check.

Noch ein kleiner Tipp; über AirFrance kann man beim Buchen einen Studierenden- Tarif auswählen und dann kostenfrei ein 2. Gepäckstück bzw. Sperrgepäck mitnehmen. Somit konnte ich ziemlich unkompliziert mein Kite-Sachen mitnehmen. Flug also auch, check.


Arbeitssituation

Ich hatte vorab wenig Erwartungen an die Klinik, einfach weil ich absolut nicht einschätzen konnte, wie es sein würde. Ich muss sagen dass mich das CHU (= Centre hospitalier universitaire) in der Gesamtschau wirklich positiv überrascht hat. Was zunächst auffällt ist, dass im Vergleich zu Deutschland der Umgangston ein ganz anderer ist. Die MitarbeiterInnen sind super nett und sowohl die ÄrztInnen, als auch das Pflegepersonal scheinen Spaß an der Arbeit zu haben. Es wird viel gelacht und, was ich besonders gut finde, auf Augenhöhe miteinander gesprochen. Abfällige Bemerkungen habe ich nie mitbekommen. Der Umgangston ist entspannt und gerade die Kommunikation zwischen Pflege und ÄrztInnnenschaft ist so, wie ich es mir in Deutschland wünschen würde und ich werde mir das definitiv von hier mitnehmen. Ich habe den Eindruck, dass auch der karibischen Einfluss damit reinspielt; die Leute sind hier einfach entspannter. Hinzu kommt, dass Guadeloupe und somit auch die Mitarbeitenden in KH, ganz unterschiedliche ethnische Hintergründe haben. Obwohl ich persönlich nie von Rassismus in deutschen KH betroffen war, weiß ich, dass es leider regelmäßig vorkommt. Mein Eindruck ist, dass das hier nicht der Fall ist - wobei ich fairerweise sagen muss dass ich das, genauso wie alles hier, natürlich nur unter Vorbehalt dessen sagen kann, was ich mitbekomme und höre und da könnte natürlich nicht zuletzt die Sprachbarriere die Wahrnehmung verfälschen. Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass in einem KH, in dem so viel ethnische und kulturelle Heterogenität herrscht, Rassismus und Vorurteile gegenüber anderen Ethnien und Kulturen weniger Platz hat.

Ich finde das richtig cool und kann für mich auf jeden Fall sagen, dass ich es in Deutschland vermissen werde in einem "Mixed Race" Team zu arbeiten - falls das denn der Fall sein sollte, aber der/die DurchschnittsarztIn in Deutschland ist nunmal weiß und nicht POC.

Nun mal zu einem anderen Aspekt; das KH ist, gelinde gesagt, nicht besonders modern. Aber das neue CHU wird bis Ende des Jahres fertig sein und hat 500 Mio. gekostet - dafür wird es im neuen KH eine Palmenallee in der Mitte geben und es ist Hurrican- und Erdbebenfest. Praktisch. Ob sich damit allerdings die häufig bemängelte Unorganisiertheit des Hauses verbessern wird, bezweifeln hier alle. Ich bekomme davon weniger mit, weil das ein Thema ist, was weniger eine Station für sich betrifft, als vielmehr die stationsübergreifenden Vorgänge, aber auf der Ebene scheint es wirklich noch Nachholbedarf zu geben.
Was wiederum sehr interessant ist, ist, dass die Antillen untereinander, also auf der höheren Strukturebene, eine Art Tauschsystem haben. Das gilt vor allem für die französischen Antillen, aber interessanterweise auch für Nicht-EU-Inseln. Guadeloupe und MarGnique scheinen die jeweils bestausgesta&eten Kliniken zu haben, aber Martinique hat zum Beispiel eine Thoraxchirurgie, die Guadeloupe nicht hat, so dass die PatientInnen im Zweifelsfall dorthin geflogen werden (oder in ganz komplizierten Fällen direkt in die "Métropole" nach Frankreich) und auf unser chirurgischen Station liegen fast täglich PatientInnen aus Marie-Galante, eine der Inseln die zum Inselarchipel Guadeloupe gehören. Aber auch auf meiner Reise nach Dominica habe ich gehört, dass viele der dort lebenden Menschen für einen KH- Aufenthalt nach Guadeloupe gehen.
Lockerer als in Deutschland wird hier auf jeden Fall mit dem Thema Datenschutz umgegangen. Befunde werden per WhatsApp verschickt und als Vorlage für die Morgenbesprechung und den Stationsplan gilt ein Google Doc, welches für die gesamte Station jederzeit bearbeitbar ist. Praktisch auf jeden Fall, aber in Deutschland wäre das so nicht möglich. In der Bevölkerung scheint mir die Kritik am CHU groß und kaum jemand will dorthin (aber letzteres gilt sicherlich auch für deutsche KH). Die Notaufnahme ist übervoll, die Menschen liegen ohne jegliche Privatsphäre auf den Gängen und das häufig länger als 12h (was allerdings Deutschland nicht anders sein muss!). Die Zimmer sind nicht besonders einladend, aber an sich in Ordnung und durchaus mit Deutschland vergleichbar. Die medizinische Versorgung würde ich trotz alledem als gut einstufen.

 


Ökologische Nachhaltigkeit

Was das Thema ökologische Nachhaltigkeit anbelangt, so gibt es Unterschiede zu Deutschland.

Angefangen damit, dass das Trinkwasser Pestizid-belastet ist (https://fr.boell.org/de/2023/05/03/les-outre-mer-surexposes-aux-pesticides), man also entweder einen Wasserfilter kaufen kann (bei dem man unbedingt darauf achten sollte, dass der nicht nur UV-Sterilisation kann, sondern einen Aktivkohlefilter enthält), oder – wie die allermeisten - Wasser in Plastikflaschen kaufen muss. Viele Einheimische sammeln zudem Regen, um damit die Wasserversorgung zu Hause zu speisen und unabhängig von der lokalen Wasserversorgung zu sein.

Ein Recycling-System gibt es nicht. Stattdessen eine riesige Mülldeponie, auf der - meines Wissens nach - der meiste Müll einfach vergraben wird. Das Erdöl von morgen - zumindest wenn "morgen" 10.000 bis einige Millionen Jahre weit weg ist. Die Alternative sieht (und riecht) man leider noch häufig; stark rauchende Schwaden, die anzeigen dass hier gerade Müll privat verbrannt wird.

Beeindruckend ist hingegend der Nationalpark, der einen großen Teil Basse-Terres einnimmt,  damit rund 10% der Fläche des Insel-Archipels ausmacht und der größte der Karibik ist. In meiner Zeit hier wurde mindestens eine weitere Insel unter Naturschutz gestellt und der Zugang komplett verboten. Auch die Unterwasserwelt wird aktiv geschützt; die vielen Segelboote ankern nicht sondern liegen an Schwimmbojen und das Angeln ist eingeschränkt (möglich).

Wo wir gerade davon sprechen; Hühnchen ist günstiger als das meiste Gemüse im Supermarkt, welches in der Regel importiert wird. An der Stelle kann ich nur empfehlen, bei kleineren Obst- und Gemüseläden (oder beim Night Market in LeGosier) einzukaufen, die häufiger lokale Produkte vertreiben. Gerade im Inland sieht man auch häufig privat angebautes Gemüse, Brotfruchtbäume und Bananenpflanzen in den Gärten. Samen für Obst und Gemüse findet man fast in jedem Supermarkt und Dank der optimalen Wetterverhältnisse wächst fast alles ganzjährig und schnell. Ein grüner Daumen ist wohl dennoch nötig, denn ich muss zugeben, dass mein selbst angelegtes Beet mit Salat, Gurken und Tomaten bisher ziemlich zu kämpfen hat, obwohl meine Gastmutter mir versichert, dass das bestimmt ganz bald was wird. Was soll ich sagen; die Hoffnung stirbt zuletzt.?

Fleischersatzprodukte sind sehr teuer, wobei man grundsätzlich beachten muss, dass die Lebenshaltungskosten auf Guadeloupe ca. 40% über dem deutschen Niveau liegen. Ich habe daher einfach meine Ernährung etwas angepasst, viel Hülsenfrüchte, Eier, Bananen und Gurken gegessen und auf Milchprodukte weitestgehend verzichtet.

Der öffentliche Nahverkehr beruht auf Bussen, die unregelmäßig und bis maximal 18:00 fahren und das nur in Ballungsgebieten. Ein eigenes oder geteiltes Auto ist daher unverzichtbar.

Der durchschnittliche CO₂ Fußabdruck liegt dennoch 2020 nur bei 3,5 Tonnen/Person. Niedriger also als im Vergleich zu Frankreich mit 4,3 und Deutschland mit 7,7 Tonnen/Person im selben Jahr (Quelle Wikipedia). An dieser Stelle wäre es daher scheinheilig und ignorant nicht zu reflektieren, wie nötig mein eigener Aufenthalt hier ist - schließlich bin ich über 7000 km mit dem Flugzeug hergeflogen und eine Rückreise steht mir auch noch bevor. Das entspricht zusammen ca. 3,0 Tonnen CO₂ (Quelle https://germany.myclimate.org/de/flight_calculators/new). Ich denke, eine CO₂-Kompensation bei der Flugbuchung ist das Mindeste, was man an dieser Stelle beitragen kann.

An dieser Stelle gehe ich vor allem auf die ökologische Nachhaltigkeit ein, aber es gibt natürlich auch die Aspekte sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit, die man beachten sollte. Ich bin mir dessen bewusst, dass es zu diesem Thema sicherlich noch weitaus mehr zu sagen gibt. Allerdings möchte ich mit diesem Beitrag auch keine wissenschaftliche Dissertation vorlegen, sondern lediglich meine persönlichen Eindrücke und Gedanken zu dem Thema wiedergeben.


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