Leona Lützenkirchen

Studium in Greifswald
Humanmedizin

Zeitraum
Wintersemester 2023/2024

Aktivität im Ausland
Praktisches Jahr, chirurgisches Tertial 

Wieso ich ins Ausland gegangen bin?
"Meine tiefe Neugier auf fremde Kulturen, das Verlangen nach neuen zwischenmenschlichen Erfahrungen und der Wunsch, meine Englischkenntnisse zu verbessern sowie umfassende praxisnahe Erfahrungen in der Chirurgie zu sammeln, motivierten mich zu meinem Schritt ins Ausland."


Beweggründe

Nach einem langen Studium in Greifwald zog es mich in die Ferne. Das praktische Jahr bot die ideale Gelegenheit, nicht nur für einen begrenzten Zeitraum in einem anderen Land zu leben, sondern auch zu arbeiten. So besteht die Möglichkeit viel tiefer in das entsprechende Land eintauchen zu können. Ich wollte diese Chance nutzen um eine, mir vollkommen fremde Kultur kennenzulernen, wobei die Amtssprache Englisch sein musste. Eine Freundin hatte bereits in Südafrika mehrfach gelebt und gearbeitet, weshalb ich Südafrika überhaupt erst in Betracht gezogen hatte. Nach intensiven Gesprächen und Recherchen bewarb ich mich schließlich an der Universität Pretoria und wurde angenommen.


Wohnsituation

Während der vier Monate wohnte ich in einem Guesthouse, welches von der Universität Pretoria empfohlen wurde. Die regulären Studentenwohnheime waren bereits belegt. Ich teilte das Haus stets mit verschiedenen MitbewohnerInnen – oft Medizinstudierende aus den Niederlanden oder berufstätige Menschen aus Südafrika und anderen afrikanischen Ländern. Den Austausch mit Menschen verschiedener Herkunft habe ich immer besonders genossen und als sehr bereichernd empfunden. Die gemeinsame Wohnsituation und die Tatsache, dass wir alle neu in der Stadt waren, schweißte uns zusammen und ließ uns oft die Freizeit miteinander verbringen.

 


Arbeitssituation

In den ersten zwei Monaten arbeitete ich im „Steve Biko Academic Hospital“, vergleichbar mit einem deutschen Uniklinikum. Die überraschend hohe Bedeutung von Lehre fiel positiv auf. Jeder Tag begann mit einer Fallbesprechung des vorherigen Tages, gefolgt von zwei Seminaren zu chirurgischen Themen. Auch während der Visiten stand die Lehre im Fokus. Die ÄrztInnen haben uns Studierende viel gefragt, gezeigt, erklärt und zum Nachdenken angeregt. Ich empfand es vor allem sehr erfrischend, dass das ärztliche Team sehr weiblich geprägt war, wovon man in Deutschland vor allem in der Chirurgie noch weitentfernt ist. Außerdem waren die ÄrztInnen im Schnitt deutlich jünger als in Deutschland und nahbarer. Das Personal war auch stets engagiert und bereit, ihr Wissen großzügig zu teilen. Von Anfang an beeindruckte mich die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Menschen in diesem Land, unabhängig von Bekanntschaft oder Unbekanntschaft. Darüber hinaus wird im südafrikanischen Alltag viel mehr gelacht- und das nicht nur außerhalb des Krankenhauses.

Ebenfalls zu dem guten Arbeitsklima trug das aufrichtige Interesse des klinischen Personals an uns Studierenden bei, eine Erfahrung, die in Deutschland oft fehlt.

In Deutschland habe ich oft das Gefühlt, dass man als Medizinstudent nicht wirklich willkommen ist und eigentlich nur schnell und leise seine Arbeit erledigen soll.

 

In der Gestaltung meiner Tertials hatte ich einen gewissen Freiraum. Die ersten sechs Wochen verbrachte ich mit anderen Studierenden und wir rotierten in der Allgemeinchirurgie. Danach konnte ich zwischen verschiedenen chirurgischen Rotationen wählen und entschied mich für Plastische Chirurgie, Thoraxchirurgie und die Notaufnahme. In diesen fakultativen Rotationen war ich stets die einzige Studierende in der Abteilung. Dies ermöglichte mir, mich je nach persönlichem Interesse und Möglichkeit aktiv einzubringen. Jedoch erforderte es auch viel Selbstüberwindung und Eigeninitiative.

Letztendlich konnte ich so mein Ziele verfolgen, so viel zu sehen wie möglich und überall einmal reinschauen. Dies war mir besonders wichtig, da ich meiner Meinung nach in meinen vergangen chirurgischen Blockpraktika und Bedside- Teaching noch nicht ausreichend Erfahrung sammeln konnte, nicht zuletzt wegen der Covid-19 Einschränkungen.

 

Das akademische Krankenhaus in Pretoria hinterließ einen sehr guten Eindruck bei mir. Es unterschied sich in Bezug auf den Stand der medizinischen Geräte und die Qualifikation des Personals nicht wesentlich von deutschen Krankenhäusern. Allerdings fielen die größeren Patientenzimmer auf, oft mit acht Patienten in einem Raum und der Ablauf war anders strukturiert, ohne klassische Übergaben oder morgendliche Meetings. Dadurch empfand ich es anfangs öfters als unstrukturiert. Aber um andere Systeme kennenzulernen bin ich schließlich ins Ausland gegangen und ich konnte in beiden Systeme Für und Wider erkennen. Zudem beeindruckte mich die Kompetenz des Personals, da sie oft auch ohne Bildgebung, sondern nur mittels klinischer Untersuchung auskommen konnten.

 

Was ich ebenfalls genossen haben, waren die deutlich flacheren Hierarchien, die mir persönliche Interaktionen mit ÄrztInnen ermöglichten und somit zu einem offenen und unterstützenden Arbeitsumfeldführten. Sogar die ProfessorInnen zeigten persönliches Interesse an mir als Person und als Studierende. Solche persönlichen

Interaktionen, wie die gemeinsame Auswertung eines EKGs, Sonographie oder das visitieren interessanter Fälle, sind in deutschen Krankenhäusern aufgrund von Zeitmangel und geringer Priorisierung wesentlich rarer.

 

Medizinisch war der gesamte Aufenthalt äußerst spannend, da es in Südafrika keine spezialisierten Zentren gibt. Jedes Krankenhaus muss sämtliche Fachrichtungen abdecken, und jeder Arzt ist breiter ausgebildet und somit fachübergreifend äußerst kompetent. Darüber hinaus haben die Ärzte in der Notaufnahme eine bestimmte Facharztausbildung absolvieren müssen, um so die Erstversorgung der Patienten für ALLE Fachrichtungen abdecken zu können. Diese breite Ausbildung ermöglichte mir einen tieferen Einblick in verschiedene medizinische Fachbereiche, den ich in Deutschland nur in spezialisierten Kliniken erhalten hätte. Zusätzlich sind die Erkrankungen der Patienten oft weiter fortgeschritten als in Deutschland, was die Erfahrungen besonders eindrücklich machte.

 

In der zweiten Hälfte meines Aufenthalts wechselte ich zu einem Krankenhaus mit einem weiten Einzugsgebiet, mitten in einem Township gelegen. Hier arbeitete ich ausschließlich in der Orthopädie und Unfallchirurgie sowie der unfallchirurgischen Notaufnahme. Dies veränderte deutlich die Art der Patientenfälle, die nun vorwiegend Schusswunden, Stichverletzungen oder andere Verletzungen schwerster Gewalteinwirkung beinhaltete, die zum Teil tödlich endeten.

Das Ausmaß war ich von deutschen Krankenhäusern gewiss nicht gewohnt, vor allem auch nicht die hohe Frequenz. Diese Patientenpräsentationen waren nicht nur medizinisch lehrreich, sondern auch emotional anspruchsvoll. Die Häufigkeit von Gewaltverletzungen erforderte eine psychische Belastbarkeit, der man sich vorher bewusst werden sollte. Mein Alter von 29 Jahren und mein bisheriger beruflicher sowie privater Werdegang waren mir bei der Bewältigung sicher sehr hilfreich. Daher wollte ich meine vorherigenErfahrungen in der Rechtsmedizin, meine Tätigkeit als Krankenschwester in der Notaufnahme und meinen Aufenthalt in Kalkutta, Indien daher nicht missen wollen. Denn diese beruflichen und persönlichen Erfahrungen brachten mir gewiss eine gewisse Reife und Selbstsicherheit.

Aber auch hier lag es an mir, wie viel ich mir selbsttrauen und mir zumuten wollte. Ich hätte daher auch mein gesamtes Tertial in dem Universitätskrankenhaus absolvieren können. Dort ähnelten sich Fälle sehr deutschen Krankenhäusern.

 

 


Begegnungen und kulturelle Vielfalt

Südafrika, als sogenannte "Regenbogennation" aufgrund seiner ethnischen und kulturellen Vielfalt, spiegelte sich auch im Krankenhausalltag wider. Die friedliche Koexistenz verschiedener ethnischer Gruppen war trotz der noch spürbaren Folgen der Apartheid, die Hautfarbe und Ethnizität betraf, bemerkenswert.

Die 11 verschiedenen offiziellen Landessprachen zeugen auch von dieser Vielfalt.

Die absolute Mehrheit spricht jedoch auch zusätzlich zur Muttersprache fließend Englisch. Ich habe es als sehr inkludierend gefunden, dass die Menschen trotz teilweise gemeinsamer afrikanisch stämmiger Muttersprache im öffentlichen Raum auf englisch miteinander kommunizieren.

Denn dies erleichterte nicht nur meine berufliche Integration, sondern trug auch dazu bei, dass ich mich in Südafrika willkommen fühlte. Das würde in Deutschland auch einiges erleichtern, wenn wir es auch so handhaben würden.

Die Offenheit, mit der mir begegnet wurde, spiegelte sich nicht nur im Krankenhaus, sondern auch im Alltag wider.

Besonders beeindruckend war ein Gottesdienst in einer abgelegenen Kirche, der auf einer der offiziellen afrikanischen Landessprachen, isiSephedi, gehalten wurde.

Als bekannt wurde, dass ich diese Sprache nicht verstand, wurde der gesamte zweistündige Gottesdienst spontan für mich parallel ins Englische übersetzt. Dies war vorher noch nie von Nöten gewesen- trotzdem wurde die Messe mit einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit übersetzt. Die beeindruckte mich zu tiefst und ließ mich oft fragen, ob dies in Deutschland auch so geschehen wäre…

Diese Geste der Inklusivität und Freundlichkeit war exemplarisch für meine Erfahrungen in Südafrika, sowie die stete Lebendigkeit und Lebensfreude.

Es wurde stets viel gesungen, gelacht und getanzt. Natürlich auch im Krankenhaus.

Dazu passte auch mein zweiter Gottesdienstbesuch, diesmal in Pretoria selbst. Diesen hielt eine junge Pastorin ab und es gefiel mir ausgesprochen gut.

 Denn jede/r konnte etwas für ihr/sein eigenes Leben und tägliches Handeln mitnehmen, unabhängig von Alter oder Lebenssituation.

Freizeitgestaltung

Vor einem Besuch in Südafrika sollte man sich bewusst sein, dass man in einem "goldenen Käfig" lebt. Die Sicherheitslage in Südafrika schränkte meine Mobilität deutlich ein. Spaziergänge in der Umgebung waren aufgrund der hohen Kriminalitätsrate nicht möglich und die weiten Distanzen innerhalb der Stadt erforderten die Nutzung von Verkehrsmitteln. Taxis, insbesondere Uber und Bolt, waren meine bevorzugten Fortbewegungsmittel, da das öffentliche Verkehrsmittel nicht ausreichend ausgebaut ist und zum Teil nicht ausreichend Sicherheit bietet. Jedoch würde auch die Möglichkeit bestehen sich ein eigenes Auto zu mieten.

 

Unter der Woche, nach anstrengenden Tagen im Krankenhaus, suchte ich oft Entspannung durch Lesen und Gespräche mit meinen Mitbewohnern. Die anfängliche Erschöpfung aufgrund vieler neuer Eindrücke, der tropischen Hitze und der ständigen Kommunikation auf Englisch erforderten deutlich mehr Ruhephasenals ich es von mir bisher gewohnt war. Sportliche Betätigung, insbesondere das Joggen, war eine willkommene Möglichkeit, um körperlich aktiv zu bleiben. Doch selbst hier gab es Herausforderungen – Joggen war nur innerhalb eines Vereins in einer sogenannten "gated-community" möglich. Diese geschlossenen Wohnanlagen, die von hohen Mauern oder Zäunen umgeben sind, sind eine Antwort auf die Sicherheitslage und bieten gewisse Freiheiten innerhalb ihrer Grenzen.

In diesem Laufverein hießen mich die Mitglieder sehr willkommen und baten mir stets ihre Hilfe an, sowie ich es immer wieder in Südafrika erleben durfte.

 

Die Wochenenden wurden zu kleinen Abenteuern, die ich mit meinen Mitbewohnern oder meiner Freundin Molobele erlebte. Die Vielfalt des Landes spiegelte sich nicht nur in der medizinischen Praxis, sondern auch in den landschaftlichen Schönheiten und kulturellen Highlights wider.

Reisen zu verschiedenen Orten standen somit auf dem Programm, sei es der berühmte Kruger Nationalpark, das majestätische Drakensberg-Gebirge oder die pulsierenden Städte Cape Town und Durban. Aus diesem Grund entschieden wir uns, jeweils ein Fahrzeug anzumieten. Diese Entscheidung fiel trotz der Herausforderungen des Linksverkehrs und der zahlreichen Schlaglöcher, was sich jedoch als durchführbar erwies.

 

In den Wochenenden, in denen ich nicht unterwegs war, vertiefte ich meine Verbindung zu Südafrika durch lokale Events und Aktivitäten. Die kulturelle Szene, das Essen, die Musik – all das trug dazu bei, dass mein Aufenthalt nicht nur eine berufliche, sondern auch eine persönliche Bereicherung wurde.

Meine Freundin Molobele und ihre Familie spielten hierbei eine zentrale Rolle. Durch sie erhielt ich tiefe Einblicke in das südafrikanische Leben, sei es durchs gemeinsame kochen, tanzen, Musik hören oder Gespräche über Politik und Gesellschaft. Unabhängig vom kulturellen Austausch hatte es auch einfach eine Menge Spaß gemacht mit ihr Zeit zu verbringen.

 

Ein weiteres Highlight war die Rugby-Weltmeisterschaft, die während meines Aufenthalts stattfand. Die kollektive Begeisterung während des Turniers war ansteckend und verdeutlichte das Motto der Rainbow nation "stronger together. Sie gipfelte im Finalspiel indem das südafrikanische Team den Titel gewann und sich ab dem Zeitpunkt das gesamte Land im Ausnahmezustand befand. Nicht nur durchquerte die Rugbymannschaft das gesamte Land in einem Fanbus und erfreute sich dabei der Begeisterung von Tausenden am Straßenrand, sondern auch der Präsident schenkte der Bevölkerung einen zusätzlichen Feiertag zur Feier des Sieges.

Parallel dazu fand die African League im Fußball statt, und das Team aus Pretoria, genauer gesagt aus Mamelodi, krönte sich zum afrikanischen Meister. Es hätte nur noch gefehlt, dass Südafrika noch Cricket Weltmeister wurde, welche auch während meines Aufenthaltes stattfand. Hier ist das Team jedoch im Halbfinale ausgeschieden. In der gesamten Zeit habe ich es sehr genossen mit den Menschen für ihr Team mit zu fiebern, neue Sportarten kennenzulernen und Teil der Gemeinschaft sein zu dürfen.


Fazit

Abschließend gilt es zu sagen, dass ich eine wahnsinnig tolle und erlebnisreiche Zeit in Südafrika erleben durfte. Ich bin weiterhin sehr beeindruckt von der Herzlichkeit und der Willkommenskultur und möchte diese für mein weiteres Leben mitnehmen.

Augenöffnende Gespräche, inspirierende Begegnungen und die Vielfalt medizinischer Eindrücke haben den Weg wahrlich lohnenswert gemacht. Diese Erfahrung möchte ich gewiss nicht missen wollen und bin daher unfassbar dankbar, diese gemacht haben zu dürfen.


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