Im SFB 1270 „ELAINE“ forschen seit mehr als sieben Jahren rund 80 Wissenschaftler*innen mehrerer Universitäten und Hochschulen an elektrisch aktiven Implantaten. Eine wichtige Frage dabei: Wie können bei Defekten in Knochen und Knorpeln Zellen zur Regeneration angeregt werden. Mit dieser herausfordernden Fragestellung befasst sich ist ein In-vitro Teilprojekt des SFB 1270 „ELAINE“, das von Prof. Dr. Christiane A. Helm, Leiterin der Arbeitsgruppe Weiche Materie und Biophysik am Institut für Physik der Universität Greifswald, geführt wird.
Nun ist es ihr und ihrer Arbeitsgruppe in enger Zusammenarbeit mit Rostocker Forscher*innen in jahrelanger Grundlagenforschung erstmals gelungen, eine Oberfläche mit einem organischen und gleichzeitig elektrisch leitenden Material so zu gestalten, dass das erforderliche elektrische Feld in der darauf liegenden Zellschicht gewährleistet ist. Auf diesem Resultat können andere Arbeitsgruppen des interdisziplinär arbeitenden Sonderforschungsbereichs wie beispielsweise die Zellbiologen aufbauen, sagt Prof. Dr. Christiane A. Helm mit Blick auf die nächsten Forschungsschritte.
Zunächst wurde mit Titanoberflächen experimentiert, berichtet der Materialwissenschaftler Muhammad Khurram. Wichtigstes Element ist der Verbundwerkstoff PEDOT:PSS, der in Lösung einen Durchmesser von etwa 70 Nanometer (1 Nanometer ist der Milliardstel Teil eines Meters) aufweist. Dabei sorgt PEDOT als leitfähiges Polymer für die elektrische Leitfähigkeit und PSS kann als Gegenion die Ladung ausgleichen und für Stabilität sorgen. „Die Fragestellung war, wie das PEDOT:PSS auf die Oberfläche aufgebracht werden muss, damit eine durchgängige Leitfähigkeit geschaffen wird und die Zellen von den elektrischen Impulsen erreicht werden und wachsen können“, sagt Khurram. „Dabei ist der Kontakt der Objektträger mit Luft für das empfindliche PEDOT:PSS nicht gut.“ Darum entwickelte er eine Beschichtungszelle, bei der die Oberflächen permanent in einer flüssigen Umgebung sind. Das Verfahren für die sogenannten Polyelektrolyt-Multischichten war gefunden. Hintergrund ist, dass bei einer negativ geladenen Oberfläche die positiv geladenen Makromoleküle auf der Oberfläche kleben bleiben. Damit ist die Oberfläche einige Nanometer dicker und positiv geladen. Im nächsten Schritt wird die Oberfläche dann in eine Lösung mit negativ geladenen Makromolekülen gebracht. Negativ geladene Makromoleküle adsorbieren, addieren eine einige Nanometer zur Filmdicke und laden die Oberfläche negativ. Wichtig war es, die leitfähigen PEDOT-Moleküle so zu adsorbieren, dass die Ladung möglichst ungehindert von einem PEDOT-Molekül zum nächsten hüpfen kann.
Doch die Zellen, denen es auf einer künstlichen Oberfläche gutgehen soll, brauchen eine natürliche Unterlage, sagt Prof. Dr. Christiane Helm. Diese Unterlage wurde mit dem negativ geladenen Protein Kollagen I gefunden. Dieser zentrale Bestandteil des Bindegewebes macht über 90 Prozent des gesamten Kollagens im menschlichen Körper aus. „So kommen sequenziell negativ und positiv geladene Schichten auf die Oberfläche, bis die ganze Schicht etwa 100 Nanometer dick ist. Die Zellen haften, vermehren sich und die Oberfläche ist elektrisch leitfähig.“
Der nächste große Schritt werde sein, das Verfahren künftig auf Oberflächen anzuwenden, die in der Regenerativen Medizin Anwendung finden. Hier kommt Prof. Dr.-Ing. Hermann Seitz vom Lehrstuhl für Mikrofluidik an der Universität Rostock ins Spiel. Sein Team fertigt in Zusammenarbeit mit Prof. Dr.-Ing. Aldo Boccaccini vom Lehrstuhl für Biomaterialien an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg mit einem 3D-Drucker Implantate, deren poröse Strukturen Knochen sehr ähnlich sind.
Prof. Dr.-Ing. Hermann Seitz weist auf die Herausforderungen hin, die in den kommenden Jahren auf die Forscher*innen zukommen. „Die bisherigen Forschungen liefen auf glatten Oberflächen ab, beim Knochen selbst und bei den 3D-Strukturen handelt es sich aber um rauhe Oberflächen“, sagt Seitz. Dort müssten dann im gesamten Inneren des Implantats „Berge und Täler im Mikrometerbereich“ beschichtet werden. Ein Problem werde sein, dass bei dem kontinuierlich ablaufenden 3D-Pulverdruckverfahren mit einer evakuierten Kammer gearbeitet wird. Das empfindliche PEDOT:PSS könne aber nicht gleichzeitig während des Druckvorgangs aufgebracht werden. Deshalb muss die von Muhammad Khurram entwickelte Zelle weiterentwickelt werden, um die Beschichtung mit PEDOT:PSS und Kollagen im Inneren des Implantats auf rauhen Oberflächen zu ermöglichen.
Hintergrund Sonderforschungsbereich 1270 „ELAINE“
Am 2017 gestarteten SFB 1270 „ELAINE“, der sich aktuell in der zweiten Förderperiode seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) befindet, sind neben der Universität und der Universitätsmedizin Rostock die Universitäten Greifswald, Leipzig, und Erlangen sowie die Universitätsmedizin Mainz und die Hochschule Wismar beteiligt. Ein Team aus mehr als 80 Wissenschaftler*innen verschiedener Fakultäten arbeitet am Einsatz von elektrisch aktiven Implantaten. Diese Implantate sollen unter anderem bei der Regeneration von Knochen- und Knorpelgewebe eingesetzt werden und Zellen zum Wachstum und zur Differenzierung anregen. Im SFB 1270 „ELAINE“ wird zudem die Tiefe Hirnstimulation zur Therapie etwa der Parkinson-Erkrankung oder Dystonie erforscht, um gestörte Funktionen des Nervensystems gezielt zu beeinflussen.
https://www.elaine.uni-rostock.de
Kontaktadressen
Dr. Paula Friedrichs
Gesamtkoordination SFB 1270 „ELAINE“
Universität Rostock
Institut für Allgemeine Elektrotechnik
Telefon +49 381 498 7082
paula.friedrichs2uni-rostockde
Prof. Dr. Christiane A. Helm
Universität Greifswald
Institut für Physik / AG Weiche Materie und Biophysik
Telefon +49 3834 420 4710
helmphysik.uni-greifswaldde