Einzigartiges Verhalten von Quecksilberkernen aufgeklärt

Dinko Atanasov (MPIK Heidelberg, links) und Frank Wienholtz (Uni Greifswald und CERN) hinter der MR-ToF MS-Komponente der ISOLTRAP-Apparatur in der ISOLDE-Experimentierhalle am CERN - Foto: Jonas Karthein.
Dinko Atanasov (MPIK Heidelberg, links) und Frank Wienholtz (Uni Greifswald und CERN) hinter der MR-ToF MS-Komponente der ISOLTRAP-Apparatur in der ISOLDE-Experimentierhalle am CERN - Foto: Jonas Karthein.
Messdaten des mittleren quadratischen Ladungsradius von Quecksilberatomkernen (in Abweichungen vom Kern mit A= 198) als Funktion der Massenzahl. Die Einfügungen illustrieren die Kernformen die den Bereichen der „normalen“ Ker-ne (unten rechts) und derer mit großer Abweichung von einer Kugel (oben links). Grafik: Frank Wienholtz
Messdaten des mittleren quadratischen Ladungsradius von Quecksilberatomkernen (in Abweichungen vom Kern mit A= 198) als Funktion der Massenzahl. Die Einfügungen illustrieren die Kernformen die den Bereichen der „normalen“ Ker-ne (unten rechts) und derer mit großer Abweichung von einer Kugel (oben links). Grafik: Frank Wienholtz

In den 1970er Jahren wurde bei Vermessungen der optischen Spektren der Elektronen in der Atomhülle bestimmter Quecksilberisotope beobachtet, dass sich die Kerngröße sprunghaft verändert. Ihre Kernform wechselt nämlich als Funktion der Massenzahl A zwischen leicht abgeplattet und ähnlich einem Rugby-Ball hin und her. Das auffällige Verhalten wurde unterhalb von A = 186 gefunden. Bei A = 185 beobachtete man einen großen Sprung im Kernradius. Dieses Verhalten wiederholte sich bei den beiden nächstkleineren ungeradzahligen Isotopen mit A = 183 und 181, während die geradzahligen Isotope mit A = 184 und 182 dem allgemeinen Trend folgten.

Erst jetzt, mehr als 40 Jahre später, konnten die zwei sich daraus ergebenden Fragen mithilfe modernerer Forschungstechnologien geklärt werden: Gibt es auch bei Quecksilberkernen mit noch kleinerer Massenzahl diesen sprunghaften Formenwechsel? Wie kann man dieses Verhalten auf die innere Struktur der Kerne zurückführen?

Die erste Frage konnte nun mit aktuellen Messungen geklärt werden. Die Herausforderung bestand darin, die Isotopenkette der kurzlebigen Atome bis hinunter zu 177Hg zu vermessen, d. h. zu Halbwertszeiten von lediglich der Dauer eines Wimpernschlags. Dazu waren verschiedene neue technische Entwicklungen notwendig, die in den Experimenten erstmals kombiniert wurden. So kam bei der Aufnahme der Laserspektren unter anderem das Greifswalder Multireflexions-Flugzeit-Massenspektrometer der ISOLTRAP-Apparatur zum Einsatz.

Mit diesen erheblich empfindlicheren Messmethoden konnte nachgewiesen werden, dass das besondere Verhalten der Quecksilberisotope bei Massenzahlen kleiner A = 180 endet und nur noch die „normalen“, leicht oblaten Kernformen zu finden sind.

Zusätzlich zu den Experimenten führten Kollegen der theoretischen Physik umfangreiche Berechnungen durch, die das beobachtete Verhalten auf bestimmte quantenmechanische Zustände der Protonen und Neutronen in den Kernen zurückführen konnten. Damit ist nicht nur das jahrzehntealte Rätsel um neutronenarme Quecksilberatomkerne gelöst. Die Ergebnisse zeigen auch die Zuverlässigkeit der Kernrechnungen, die nun auch andere Bereiche der Nuklidkarte, des „Periodensystems der Atomkerne“, angewendet werden können. Von der ISOLTRAP-Kollaboration waren neben der Arbeitsgruppe Schweikhard des Instituts für Physik der Universität Greifswald Mitglieder des CERN, des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg, sowie der Universitäten in Dresden, Manchester (Groß-Britannien) und Paris-Sud (Frankreich) beteiligt. Dazu kamen mehrere weitere experimentelle Gruppen, unter anderem auch Laserspektroskopiker der Universität Mainz.

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CERN press release

Originalveröffentlichung
Mercurial nuclei get back in shape, B.A. Marsh, T. Day Goodacre, S. Sels, Y. Tsunoda, B. Andel, A.N. Andreyev, N.A. Althubiti, D. Atanasov, A.E. Barzakh, J. Billowes, K. Blaum, T. E. Cocolios, J. G. Cubiss, J. Dobaczewski, G.J. Farooq-Smith, D.V. Fedorov, V.N. Fedosseev, K.T. Flanagan, L.P. Gaffney, L. Ghys, M. Huyse, S. Kreim, D. Lunney, K.M. Lynch, V. Manea, Y. Martinez Palenzuela, P.L. Molkanov, T. Otsuka, A. Pastore, M. Rosenbusch, R.E. Rossel, S. Rothe, L. Schweikhard, M.D. Seliverstov, P. Spagnoletti, C. van Beveren, P. van Duppen, M. Veinhard, E. Verstraelen, A. Welker, K. Wendt, F. Wienholtz, R.N. Wolf, A. Zadvornaya, K. Zuber,
Nature Physics http://www.nature.com/articles/s41567-018-0292-8

Ansprechpartner

Dipl.-Phys. Frank Wienholtz (CERN Fellow) und
Prof. Dr. Lutz Schweikhard (Leiter der Greifswalder Arbeitsgruppe)
Institut für Physik der Universität Greifswald
Felix-Hausdorff-Straße 6, 17489 Greifswald
Telefon +49 3834 420 4700
wienholtzphysik.uni-greifswaldde ; lschweikphysik.uni-greifswaldde
physik.uni-greifswald.de/ag-schweikhard/

Prof. Dr. Klaus Blaum (Sprecher der ISOLTRAP-Kollaboration)
Max-Planck-Institut für Kernphysik
Saupfercheckweg 1, 69117 Heidelberg
Telefon +49 6221 516850
klaus.blaummpi-hd.mpgde
www.mpi-hd.mpg.de/blaum/index.de.html

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