Sie wollten der DDR über das Meer entkommen – und bezahlten diesen Versuch mit dem Leben: 135 Fluchtversuche, die tödlich ausgingen, ermittelte das Forschungsteam „Todesfälle bei Fluchtversuchen über die Ostsee“ für den Zeitraum von 1961 bis 1989. Die meisten tödlichen Fluchtversuche ereigneten sich kurz nach dem Mauerbau in den Jahren 1961 und 1962. Der Anteil der Frauen unter den Opfern betrug zehn Prozent; die meisten Flüchtlinge waren Jugendliche und junge Männer im Alter zwischen 16 und 30 Jahren.
„Seitdem ich so viele erschütternde Biografien der auf der Flucht über die Ostsee zu Tode gekommenen Menschen kenne, hat sich mein Blick auf die Ostsee verändert, denn ich muss häufig daran denken, wie es ihnen bei der Flucht ergangen ist“, sagt Prof. Dr. Hubertus Buchstein. „Zugleich spüre ich die geschichtspolitische Verantwortung, an das Schicksal dieser Menschen zu erinnern.“
Merete Peetz, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt, hebt hervor, wie wichtig für sie bei der Forschung die Resonanz der Angehörigen, Freunden und Nachgeborenen gewesen war: „Ihre Erinnerungen waren für uns besonders wichtig und haben geholfen, die Menschen hinter den Fluchtversuchen sichtbar zu machen und falsche Informationen aus den DDR-Akten richtigzustellen.“ Für die Forscherin war dieses Projekt daher mehr als reine Forschung und Sichtbarmachung von Zahlen gewesen. Sie sagt: „Es ging auch um Respekt, Mitgefühl und darum, ein kleines Stück Gerechtigkeit herzustellen.“
Zeugnis von Freiheitswillen und staatlicher Repression
„Menschen, die in der DDR den gefährlichen Weg über die Ostsee zur Flucht wählten, wollten frei sein und über ihr Leben selbst bestimmen. Das war ihr einziges Vergehen. Die SED hat unermessliches Leid verursacht, für die Flüchtlinge und ihre Angehörigen“, so Staatssekretärin Susanne Bowen bei der Buchvorstellung in Schwerin: „Das Forschungsprojekt und die daraus entstandene Publikation zeichnen persönliche Schicksale und persönliches Leid nach. Und sie dokumentieren auch den überzeichneten, autoritären Besitzanspruch, den das DDR-Regime gegenüber den Menschen hatte.“
„Todesfälle bei Fluchtversuchen über die Ostsee“ ist eines von drei Teilprojekten des Forschungsvorhabens „Grenzregime. Tödliche Fluchten aus der DDR“, verortet an den Universitäten Berlin, Potsdam und Greifswald. Es wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie dem Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten Mecklenburg-Vorpommern finanziert.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Buchstein und Merete Peetz werden im Rahmen des Dies academicus den Festvortrag „Tödliche Ostseefluchten aus der DDR 1961 – 1989“ halten:
Donnerstag, 15.05.2025, 16:00 Uhr, Hörsaal 2, Ernst-Lohmeyer-Platz 6, 17489 Greifswald
Die Forschungsergebnisse und Interviews sind online einsehbar auf:
https://www.eiserner-vorhang.de/projekt/ostsee/index.html
Das Buch ist im Online-Shop der Landeszentrale für politische Bildung MV zu erwerben:
https://www.lpb-mv.de/nc/publikationen/detail/toedliche-ostseefluchten-aus-der-ddr-1961-1989/
Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Prof. Dr. Hubertus Buchstein
Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft
Arbeitsbereich Politikwissenschaft
Projekt „Todesfälle bei Fluchtversuchen über die Ostsee“
Ernst-Lohmeyer-Platz 3, 17489 Greifswald
buchsteiuni-greifswaldde