Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 2009–2012

Die Universität Greifswald gedenkt jeweils am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus. Die Veranstaltungen werden zusammen mit der Universitäts- und Hansestadt Greifswald organisiert. Es wird an den alltäglichen nationalsozialistischen Terror und seine Opfer in der Region erinnert.

Informationen zu Veranstaltungen aus den Jahren 2009 bis 2012 finden Sie hier:

2012

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 2012

Die Universität Greifswald gedenkt jeweils am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus. Die Veranstaltungen werden zusammen mit der Universitäts- und Hansestadt Greifswald organisiert. Es wird an den alltäglichen nationalsozialistischen Terror und seine Opfer in der Region erinnert.

2012 ist die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus den Zwangsarbeitern unter der nationalsozialistischen Herrschaft gewidmet. Systematisch und in beispiellosem Umfang wurden im nationalsozialistischen Deutschland schätzungsweise 20 bis 25 Millionen Männer, Frauen und Kinder aus fast ganz Europa als Zwangsarbeiter beschäftigt.

Zwangsarbeit und Ausländerbeschäftigung gab es neben der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion in kommunalen Betrieben, Universitäten, Kliniken und kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen. Neben einem Überblick über Wege und Phasen der Rekrutierung, den Alltag der verschiedenen Zwangsarbeitergruppen und den Umgang des Regimes wie der deutschen Kriegsgesellschaft mit diesen Menschen im Deutschen Reich sollen auch die Verhältnisse in Greifswald und in der Region beleuchtet werden.

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus
Freitag, 27. Januar 2011, 19:00 Uhr
Pommersches Landesmuseum Greifswald
Rakower Straße 9
17489 Greifswald

Vorträge:

  •  Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Ereignis und Erinnerung | Dr. Christine Glauning, Berlin
  •  Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in der NS-Zeit in Greifswald und Umgebung | Uwe Kiel, Greifswald

Musik
Es musizieren „I Cornetti Pomerani“ mit Prof. Dr. Matthias Schneider – Orgel
Dr. Immanuel Musäus – Zink
Dr. des. Beate Bugenhagen – Zink

Im Folgenden können das Plakat und die Einladung zum Gedenktag 2012 als PDF-Dokumente heruntergeladen werden.

2011

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 2011

Die Universität Greifswald gedenkt jeweils am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus. Die Veranstaltungen werden zusammen mit der Universitäts- und Hansestadt Greifswald organisiert. Es wird an den alltäglichen nationalsozialistischen Terror und seine Opfer in der Region erinnert.

2011 ist die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus den Verfolgten Wissenschaftler unter dem faschistischen Regime gewidmet. Die nationalsozialistischen Machthaber und ihre Gefolgschaft versuchten, die Wissenschaft in ihren Dienst zu zwingen. Das war ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit.

Rassische und politische Gründe wurden angeführt, um Hochschullehrer aus dem Amt zu werfen. Anderen wurden Straftaten untergeschoben, Studenten wurden drangsaliert und Graduierten der Doktorgrad aberkannt. All dies geschah auch in Greifswald.

An Schicksale aus verschiedenen Greifswalder Fakultäten soll dies am Gedenktag verdeutlicht werden.

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus
Donnerstag, 27. Januar 2011, 19:30 Uhr
Aula der Universität Greifswald
Domstraße 11, Eingang 2
17489 Greifswald

Vorträge:

  •  "Freiheit leben – Konrat F. Ziegler (1884 – 1973)", Dr. Dirk Alvermann, Greifswald
  •  "Angehörige der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zwischen 1933 und 1945", Dr. Irene Vorholz, Berlin
  •  "Berufungspolitik an der Medizinischen Fakultät Greifswald zwischen 1930 und 1935",Ulrike Michel, Greifswald

Musik
unter der Leitung von Imanuel Musäus, Altertumswissenschaften

Im Folgenden können das Plakat und die Einladung zum Gedenktag 2011 als PDF-Dokumente heruntergeladen werden.

Gedenktag 2011 – Die Publikation

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus 2011 – Die Publikation

Im Jahr 2011 standen die Umwälzungen des Nationalsozialismus an der Universität Greifswald im Mittelpunkt des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus. Zwei Fakultäten, die traditionell Funktionsträger für die Gesellschaft ausbilden, die Juristische und die Medizinische Fakultät, wurden näher beleuchtet.

In den Vorträgen wurde an persönlichen Schicksalen deutlich, wer zu den Verlieren und Gewinnern der NS-Herrschaft gehörte.

Die Vorträge der Gedenkveranstaltung, sind in einer Publikation der Universität zusammengefasst. Der Band kann gegen Rechnung in der Presse- und Informationsstelle der Universität bestellt (Barzahlung ist leider nicht möglich) gekauft werden.

Leseprobe

Angehörige der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zwischen 1933 und 1945

"a. Paul Merkel

Wenn auch die Denunziationen seiner Bemerkungen in den Vorlesungen für Paul Merkel 1933 keine weiteren Folgen hatten und das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums auf den Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg nicht anzuwenden war, so holte ihn die nationalsozialistische Personalpolitik 1935 ein. Den jüdischen Hochschullehrern wurde die Prüfungsbefugnis entzogen. Merkel, der wegen eines jüdischen Großelternteils als Jude galt, wurde von der Abnahme der Prüfungen im Ersten juristischen Staatsexamen sowie von den juristischen Doktorprüfungen ausgeschlossen.

Diese Zurücksetzungen vermochte Merkel nicht zu ertragen. Im August 1935, zwei Jahre vor seiner eigentlichen Emeritierung

und noch vor Inkrafttreten der sogenannten Nürnberger Gesetze, die Juden schließlich völlig außerhalb der Gesellschaft stellten, bat er darum, vorzeitig entpflichtet zu werden. Als persönlichen Grund gab er an, der Ausschluss von der Referendarprüfung und die weitgehende Einschränkung bei der Teilnahme an Promotionen habe ihn seelisch ganz besonders schwer getroffen. Aufgrund des Wegfalls der Prüfungsgebühren waren auch seine amtlichen Einnahmen zurückgegangen, so dass er sich gezwungen sah, sein Haus zu verkaufen. Als sachlichen Grund brachte er daneben vor, den Dekan von Rücksichten befreien zu wollen, die diesen hindern könnten, die Belange der Fakultät so wahrzunehmen, wie er, Merkel, es für erforderlich hielt.

In Greifswald gab es, seitdem die zweite strafrechtliche Professur 1923 nicht mehr besetzt worden war, nur eine Strafrechts-Professur, die Merkel inne hatte. Da auch der Fachvertreter für Zivilprozessrecht, Juncker, „Nichtarier” war, hatte der Ausschluss aus den Prüfungskommissionen zur Folge, dass in diesen Fächern Rechtskandidaten nur von Praktikern geprüft wurden. Ebenso schwierig waren die Doktorprüfungen, da die Doktoranden nun nicht mehr von Fachordinarien geprüft wurden. Eine Dissertation im Strafrecht war überhaupt nicht mehr möglich. Das alles seien für die Fakultät erhebliche Nachteile, denen Merkel durch sein Entpflichtungsgesuch abhelfen wollte. Zum Ende des Wintersemesters 1935/1936 wurde Merkel schließlich entpflichtet."

Aus dem Vortrag von Dr. Irene Vorholz (Potsdam)

Greifswalder Universitätsreden – Neue Folge 145

Greifswalder Fakultäten im Nationalsozialismus
Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2011 in Greifswald
ISBN 978-3-86006-392-7
Publikation als PDF

2010

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 2010

Der 27. Januar 2010 stand im Zeichen des Gedenkens an den 70. Jahrestag der ersten Deportation von Juden aus Pommern. Mit einem Vortrag von Dr. Irmfried Garbe und einer Einführung durch Prof. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann wurde im Pommerschen Landesmuseum den über 1000 Deportierten gedacht.

Am 13. Februar 2010 gab es, auf Einladung des Arbeitskreises Kirche und Judentum der Pommerschen Evangelischen Kirche, eine Gedenkwanderung mit Kerzen und Blumen entlang der Stolpersteine, um an jüdische Bürger Greifswalds zu erinnern.

Am 12. und 13. Februar 1940 wurde auf dem Stettiner Güterbahnhof der reichsweit erste Judentransport zusammengestellt. Offiziell heißt es, die Juden des Regierungsbezirks Stettin würden „evakuiert“. Manchen Betroffenen war nicht klar, dass es auf eine Reise ging, von der es für die allermeisten keine Rückkehr geben sollte. Die Liste der Deportierten enthält 1.124 Namen – Namen, die nicht vergessen werden dürfen, von denen aber die meisten lange vergessen waren. Einige der Deportierten hielten Briefkontakt mit ihren deutschen Nachbarn und Freunden – Stimmen, die den Namen Gefühle und Menschlichkeit verleihen.

Anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus wurden die Namen und die Stimmen der pommerschen Deportierten im Vortrag von Dr. Irmfried Garbe neu zu Gehör gebracht. Angehörige des Theaters Vorpommerns lasen aus Originaldokumenten.

Weitere Informationen

www.zeitgeschichte-regional.de

Ein Abdruck der Namensliste befindet sich im Sonderheft Nr. 3 von „Zeitgeschichte regional“, Januar 2009. Mit einer Einleitung zum Geschehen und zum Dokument von Wolfgang Wilhelmus unter Mitarbeit von Irmfried Garbe.

Die Lubliner Judenliste: die erste Deportation deutscher Juden vom 13. Februar 1940 aus dem pommerschen Regierungsbezirk Stettin / Wolfgang Wilhelmus, unter Mitarbeit von Irmfried Garbe

In: Zeitgeschichte regional, Sonderheft Nr. 3 – Die Namensliste der 1940 aus dem Regierungsbezirk Stettin deportierten Juden / mit einer Einl. zum Geschehen und zum Dokument von Wolfgang Wilhelmus. – Rostock: Geschichtswerkstatt Rostock e. V., 2009

Gedenktag 2010 - Die Publikation

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus 2010 - Die Publikation

Am 27. Januar 2010 zeigte das Thermometer in Greifswald -17 Grad Celsius an. Am Abend kamen Greifswalder in dicke, warme Mäntel gehüllt ins Pommersche Landesmuseum. Sie kamen, um der Opfer des menschenverachtenden Regimes der Nationalsozialisten zu gedenken. Jüdische Mitmenschen aus Greifswald, Heringsdorf, Grimmen und anderen Orten in Pommern wurden im Januar 1940 auf eine Reise in den Tod geschickt. Es waren die ersten Deportationen in Deutschland.

Die Vorträge der Gedenkveranstaltung sowie die bewegenden Dokumente, aus denen gelesen wurde, wurden in einer Publikation der Universität zusammengefasst. Der Band ist leider vergriffen.

Leseprobe

Zur Deportation aus dem Regierungsbezirk Stettin im Februar 1940

"Liebe Greifswalder, meine sehr verehrten Damen und Herren,

es herrschten dieselben Tiefkühltemperaturen, wie wir sie in den letzten Tagen erlebten, als in den Abendstunden des 12. Februar 1940 in den größeren Orten des Regierungsbezirkes Stettin die reichsweit erste Deportation von Juden gestartet wurde. Nach genau vorgegebenem Zeitplan wurden die Betroffenen überfallartig von zwei bis drei Geheimpolizei-Beamten bzw. SA- oder SS-Dienstgraden aufgesucht, die ein von der Gestapo-Leitstelle Stettin ausgestelltes Schreiben verlasen. Darin heißt es u. a.: „Es wird Ihnen hiermit eröffnet, daß Sie innerhalb von 7 Stunden Ihre Wohnung zu verlassen haben. Die Ihnen dieses Eröffnenden sind gehalten, bis Sie Ihre Koffer gepackt und Ihre Wohnung ordnungsgemäß hergerichtet haben, bei Ihnen zu bleiben und Sie alsdann zum Bahnhof zu bringen. Sie werden ersucht, die Schlüssel an sämtlichen Behältnissen, Schränken usw. stecken zu lassen; ebenso die inneren Wohnungsschlüssel. […] Den Haus-und Korridorschlüssel haben Sie mit einem Bändchen und einem daran befestigten Stück Pappe zu versehen und Ihren Namen und Wohnung darauf zu schreiben. Diese Schlüssel haben Sie dem Ihnen dieses Eröffnenden zu übergeben.“ Detailliert festgelegt war, was an Handgepäck auf den Transport mitgenommen werden dürfe. Zur Bekleidung hieß es bereits unheilvoll: „es können auch zwei Mäntel und doppelte Unterwäsche angezogen werden“. Strikt untersagt wurde die Mitnahme von Geld, Wertpapieren, Devisen, Sparkassenbüchern und Wertsachen aller Art, ausgenommen war nur der Ehering. Die gesamte Vermögenssituation war bis auf den Pfennig genau aufzulisten. Als Identifikationsmittel sollten Ausweis oder Kennkarte eingesteckt werden. „Außerdem haben Sie sich selbst ein Schild um den Hals zu hängen, auf dem Ihr Name und Geburtstag angegeben sind.“ Das Schreiben endete mit der Drohung: „Allen Anordnungen derjenigen, die Ihnen diese Verfügung bekanntgeben, haben Sie unbedingt und ohne Widerspruch Folge zu leisten und jede geforderte Auskunft zu erteilen, andernfalls Sie mit schwersten Strafen belegt werden.“ Der Schlußsatz lautet: „Diese Verfügung ist für Ihren Inhaber zugleich Ausweis.“

Laut einer im Deportationsgebiet Lublin angelegten Liste25 wurden mindestens 1120 Deutsche aus dem westlichsten Regierungsbezirk der Provinz Pommern von dieser Aktion betroffen. Darunter waren auch vier Schwangere, die ihre Kinder erst am Deportationsort entbanden. Die meisten Betroffenen standen jedoch in höherem Alter. Es gab aber auch ganze Familien wie die Saulmanns mit drei schulpflichtigen Kindern aus Heringsdorf. Aus Greifswald waren fünf ältere Personen betroffen: Else Burchard aus der Kuhstraße 7, Georg und Friederike Feldmann aus der Gützkower Straße 39, Elise Rosenberg aus der Langefuhrstraße 3 (heute Friedrich-Loeffler-Straße) und schließlich eine bereits auf dem Transport verstorbene Frau, deren Namen infolge einer Beschädigung des letzten Blattes der Liste nicht mehr feststellbar ist. Erfaßt wurden von dieser Deportation alle transportfähigen „Juden“ („Juden“ im Sinne der NS-Gesetzgebung, denn de facto hatten sich zahlreiche Betroffene von ihrem „Judesein“ gelöst) des Regierungsbezirkes Stettin, namentlich also Personen aus den Kreisen Barth, Stralsund, Rügen, Grimmen, Greifswald, Greifswald-Land, Usedom-Wollin, Demmin, Anklam, Ueckermünde, Greifenhagen, Pyritz, Stargard, Saatzig, Naugard und Cammin. Vier Fünftel der Betroffenen aber waren in der Metropole Stettin gemeldet.26

Die Menschen wurden in Omnibussen zum Hauptgüterbahnhof in Stettin gebracht. Nach einer schlaflos verbrachten Nacht, einer entwürdigenden, mehrstündigen Kontroll-Prozedur und der abgezwungenen Erklärung, die Unterzeichneten schlössen sich „freiwillig“ diesem Transport an, startete der Deportationszug in den Mittagsstunden des 13. Februar bei klirrendem Frost. Für die nur notdürftig versorgten, völlig verunsicherten und verzweifelten Menschen ging die Fahrt in unbekannte Richtung. Mutige Angehörige und Beobachter informierten umgehend aus-und inländische Beobachter von dem Vorgang. Zahlreiche Tagebücher und Presseorgane nahmen die Information auf. Über die freie Presse der Schweiz, Englands und Skandinaviens erfuhren Europa und die Welt noch vor Erreichen des Zielbahnhofs Lublin von der Stettiner Deportation. So berichtete der Berlin-Korrespondent Henrik Ringsted am 17. Februar in der wichtigsten Tageszeitung Dänemarks („Politiken“) unter der Schlagzeile „Deutschland deportiert Staatsangehörige“ ausnehmend präzise über das Geschehen. U. a. notierte er: „Bereits auf der Durchfahrt durch Schneidemühl – etwa 24 Stunden nach dem Abtransport – mussten die ersten Leichen aus dem Deportationszug entfernt werden.“ Die Toten waren eine Frau und zwei Kinder. „Einige andere Personen lagen im Sterben, wie Zurufe aus den Wagenfenstern des Zuges an den Stationsvorsteher des Bahnhofs besagten.“ Dank seiner Information erhält der Transportweg Konturen. Die Fahrt dauerte dreieinhalb Tage. Dann war der ca. 740 km entfernte Zielbahnhof Lublin im Generalgouvernement erreicht."
Aus dem Vortrag von Dr. Irmfried Garbe (Theologische Fakultät)

 

"Aber es gab keine Bettwäsche, kein Handtuch, keine Seife,kein Glas. Ein einziger Emaillebecher diente der ganzen Belegung von über 20 Menschen. Niemand wurde gewaschen, niemand ausgezogen. Ein einziges Stechbecken, keine Flasche, ein einziger Katheter standen /16/ zur Verfügung. Eine Schwester mühte sich mit von der Straße geholten Mädchen um die Betreuung der Kranken, die im wesentlichen in Verabfolgung der mageren Verpflegung bestand. Es gab des morgens einen dünnen Kaffee und 2 trockene Brotscheiben, mittags abwechselnd Mohrrüben und Kartoffelmus in Wasser gekocht, unzubereitet, oder rote Rüben mit Kartoffelmus und abends eine Tasse Tee mit trockenem Weißbrot. Nur der aufnehmende Arzt war wunderbar in seiner warmen Menschlichkeit."
Auszug aus dem Bericht von Elsa Meyring („Arbeit als Jüdin 1933 – 1945”)

Greifswalder Universitätsreden – Neue Folge 142

Die erste Deportation von deutschen Juden vor 70 Jahren aus Pommern
Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2010 in Greifswald

ISBN 978-3-86006-357-6

2009

Erinnerung an jüdische Erzählkunst

"In halbrealen Räumen, am Ende der Wirklichkeit - Bruno Schulz und polnisch-jüdisches Erzählen vor dem Holocaust"

Mit einer wissenschaftlich literarischen Veranstaltung erinnerte die Universität Greifswald an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Prof. Dr. Ulrike Jekutsch stellte zusammen mit dem Schauspieler Marco Bahr das Werk des Autors Bruno Schulz vor.

Bruno Schulz, der 1934 mit seinem ersten Erzählband "Die Zimtläden" Aufsehen in der polnischen Literaturszene erregte, ist als einer der bedeutendsten europäischen Autoren des 20. Jahrhunderts bekannt geworden.

Seine literarische Schaffenszeit währte nur zehn Jahre. 1942 wurde er in seiner Heimatstadt Drohobycz von dem Gestapo-Scharführer Karl Günther auf offener Straße erschossen.

Sein Werk umfasst neben dem ersten Erzählband den weiteren, die Thematik des ersten fortführenden und variierenden Band Das Sanatorium zur Todesanzeige, einige Einzelerzählungen, den angefangenen und verloren gegangenen Roman Der Messias sowie literaturkritische Artikel und Briefe. Seine Arbeiten sind geprägt von seiner Heimatstadt und Familie, von einer Fantastik und Realität mischenden, metaphern- und bildreichen, mythopoetischen Schreibweise.

Die zentrale Figur im Weltmodell seiner Texte ist der Vater, der sich in die Krankheit zurückzieht, und mehrfach stirbt, um in den verschiedensten Metamorphosen – als Kondor, Krebs, Kakerlake, Feuerwehrmann usw. – wieder zu erscheinen. Beschrieben wird er aus der Perspektive des heranwachsenden Sohnes, dessen Haltung zwischen bewundernder und liebender Nähe und gleichgültiger Distanzierung wechselt.

Der Vortrag von Prof. Dr. Ulrike Jekutsch stellte den Autor Bruno Schulz, seine Stadt Drohobycz, und die Welt seiner Texte anhand der zwei Erzählbände vor und zeigte ihn im Kontext der polnischen und polnisch-jüdischen Literatur dieser Zeit. Die Lesung mit Marco Bahr brachte ausgewählte Texte aus den Zimtläden zu Gehör.

Prof. Dr. Ulrike Jekutsch, 1992 an der Georg-August-Universität Göttingen habilitiert, lehrt seit 1994 Slawische Literaturwissenschaft an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Fragen der Autorenpoetik und historischen Gattungspoetik, der Relation von Poesie und Wissenschaft, Poesie und Religion bzw. Kirche in der russischen und polnischen Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts; Genderfragen, weiter Probleme der Überset-zungsforschung und der Übersetzung literarischer Texte aus dem Russischen und Polnischen ins Deutsche.

Marco Bahr studierte an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und arbeitete an¬schließend als freiberuflicher Schauspieler, unter anderem am Schillertheater Berlin und am Deut¬schen Nationaltheater in Weimar. Seit 2008 ist er am Theater Vorpommern angestellt.

"Die Zimtläden" ist im Carl Hanser Verlag München neu erschienen. Zu empfehlen ist auch das Buch von Jerzy Ficowski "Bruno Schulz 1892 – 1942 Ein Künstlerleben in Galizien".

Carl Hanser Verlag München