Abraham war Optimist, der Landesrabbiner auch: William Wolff (1927–2020)

William Wolff ©Hausmann
William Wolff bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde 2006 in der Aula der Universität Greifswald ©Hausmann

Mit großer Trauer habe ich vom Tod des ehemaligen Landesrabbiners von Mecklenburg-Vorpommern und Ehrendoktor der Greifswalder Theologischen Fakultät William Wolff erfahren. Sein Leben galt und kann – nicht nur – mir weiterhin als Inspiration gelten. Eine Inspiration, die uns mit seltener Klarheit zeigt, wie wir einerseits unseren eigenen Lebensentwurf immer tiefer entfalten, sich andererseits unsere Lebenskreise auch nach längerer Zeit schließen können.

Erst mit 57 wurde der langjährige Journalist William Wolff Rabbiner und erst mit 75, nach fast 70 Jahren im Ausland, kam der gebürtige Berliner zurück in seine ursprüngliche Heimat, von der er als kleines Kind zunächst über Amsterdam (1933) nach England (1939) fliehen musste. In der Tat waren jene zwei Aspekte seines Lebens, der berufliche und geographische Lebensweg, eng miteinander verbunden: Die Rückkehr nach Deutschland wurde möglich durch den Ruf, hierzulande in Rostock und Schwerin als Rabbiner zu amtieren. Als Brite kam Rabbiner Wolff in Gemeinden mit vor allem Einwanderern aus der früheren Sowjetunion – seine Aufgabe war keineswegs eine leichte. Allerdings hat er sie hauptamtlich dreizehn Jahre, danach ehrenamtlich, virtuos gemeistert.

Für sein Engagement erlangte William Wolff große Anerkennung unter Deutschen ebenso wie Juden. Im Jahre 2007 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und den Israel-Jacobson-Preis der Union Progressiver Juden. Doch seine vielleicht wirkungsvollste „Auszeichnung“ stellt ein 2010 über ihn und seine Schweriner Gemeinde veröffentlichtes Buch dar, das in Verbindung mit einer Ausstellung in Mecklenburg-Vorpommern, auch in Greifswald, präsentiert wurde. Das Ergebnis eines Jahres, in dem die Publizistin und Fotografin Manuela Koska William Wolff begleitete: „Abraham war Optimist“. Der Titel orientiert sich an Rabbiner Wolffs Lebenseinstellung, seinen Lehren und auch Briefen.

Begegnungen mit Rabbiner Wolff haben meine Greifswalder Jahre sehr stark geprägt und waren stets von dankbarer Freude getragen. Bereits kurz nach meiner Ankunft in Mecklenburg-Vorpommern habe ich William Wolff persönlich kennengelernt, als ich zusammen mit einem Kollegen aus der Theologischen Fakultät an der Vorstellung des oben benannten Bandes in der Schweriner Synagoge teilnehmen durfte. Einige Monate später saßen wir nebeneinander auf dem Podium im Pommerschen Landesmuseum und diskutierten zum Thema „Jüdisches Leben im Mecklenburg-Vorpommern seit 1945: Neubeginn und Wandel“. Bei vielen weiteren Gelegenheiten saßen wir, ob beim Abendessen, zusammen und führten Gespräche über Judentum und das Leben in Deutschland. Auch als der „andere anglophone Jude“ in Mecklenburg-Vorpommern in diesen Jahren freute ich mich, dass Rabbiner Wolff da war. Ich habe von ihm gelernt, dass man nie weiß, wann, wo, und unter welchen Umständen jemand seine wichtigsten Beiträge zum Leben leisten wird. Deshalb sollten wir stets offen sein für alle Widerfahrnisse, wann und wo immer sie uns begegnen, treffen. Das Leben hat seine Überraschungen!

Zudem war ich rasch von Rabbiner Wolffs Lebensfreude, Lebendigkeit und Humor „angesteckt“. Anlässlich meiner Antrittsvorlesung, zu der er mich mit seiner Anwesenheit und einer Ansprache ehrte, lernte er meinen Vater aus Los Angeles kennen. Beim gemeinsamen Gespräch stellte sich heraus, dass der Kantor, mit dem mein Vater in Brooklyn am „Temple Emanu-El“ aufgewachsen war, zuvor an der vom jungen William Wolff besuchten Londoner „Hendon Synagoge“ gewirkt hatte. „You pilfered him from us!“ (Ihr habt ihn uns stibitzt!) lautete umgehend der Vorwurf von Rabbiner Wolff – scherzhaft und doch auch ernsthaft: David Koussewitzky war tatsächlich ein renommierter Sänger aus einer berühmten Kantoren-Familie. Es geht die Erzählung: Als ein reicher Geschäftsmann aus der New Yorker Gemeinde seine Stimme während eines Aufenthaltes in London hörte, habe er sofort entschieden, den strahlenden Kantor für Brooklyn zu gewinnen. So war es wohl in der Tat, und so haben sich New York und London auf unvergessliche Weise in der Aula der Universität Greifswald getroffen.

Anscheinend hat William Wolff seine Bereitschaft, seine Offenheit fürs Neue im Leben von unserem Vorfahren Abraham gelernt, der sich gleichfalls mit 75 auf dem Wege in die, für ihn noch ganz unbekannte, Heimat gemacht hat (Gen 12.4). Abraham war aber Optimist. Der Landesrabbiner auch.

!ברוך זכרו יהי
Möge sein Andenken gesegnet sein!

!החיים בצרור צרורה נשמתו תהיה
Möge seine Seele eingebunden sein in den Bund des Lebens!

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In der Mischna (Sprüche der Väter 3,10) erfahren wir, dass der Rabbiner Hanina ben Dosa zu sagen pflegte: „Wer bei seinen Mitmenschen Wohlgefallen findet, der findet auch Wohlgefallen bei Gott.“ Dazu lässt sich hinzufügen: Genauso wie wir nunmehr den Tod eines Menschen wie Rabbiner Wolff betrauern, so tut der Ewige das auch. Die Idee eines trauernden Gottes öffnet den Weg, das jüdische Trauergebet anzuführen, dessen Inhalt allein aus Lobpreis des Ewigen besteht. Wir versuchen, uns von der eigenen Trauer zu lösen, indem wir unser Beileid in Richtung Gott wegen des Verlusts seiner Schöpfungen artikulieren. In dieser Hinsicht und in Erinnerung an William Wolff, schließe ich meine Bemerkungen mit dem ersten Teil dieses Kaddisch:

Erhoben und geheiligt werde sein großer Name.
Auf der Welt, die nach seinem Willen von Ihm erschaffen wurde
Sein Reich erstehe
In eurem Leben in euren Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel,
Schnell und in nächster Zeit, sprecht: Amen!
Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.
 

Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Theologische Fakultät
Dekan Prof. Dr. Heinrich Assel
Am Rubenowplatz 2/3, 17489 Greifswald
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