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Universität im Nationalsozialismus

Das Rektorat der Universität Greifswald hat Anfang 2011 beschlossen, die Geschichte der Universität während der Zeit des Nationalsozialismus genauer erforschen zu lassen. Das Projekt wurde von Fachwissenschaftlern der Universität betreut. Entstanden ist eine zusammenfassende Darstellung der Universitätsgeschichte in der NS-Zeit.

Die Universität Greifswald stand in der Zeit des Nationalsozialismus vor der Herausforderung, sich den Gegebenheiten der Diktatur anzupassen. Im Verlauf dieses Transformationsprozesses entwickelte sich die Universität zu einer Institution, die nationalsozialistische Ideologie lehrte, in die Rüstungsforschung eingebunden war und sich an nationalsozialistischem Unrecht beteiligte. Sie wurde, wie Pommerns Gauleiter und Oberpräsident Franz Schwede-Coburg konstatierte, zu einem „wertvollen Instrument“ des NS-Regimes. Dieser Weg verlief nicht ohne Auseinandersetzungen. Aber vernehmbar abweichende Meinungen zur nationalsozialistischen Ideologie veröffentlichten nur der Diabetologe Gerhardt Katsch (1887–1961) und der Theologe Otto Haendler (1890–1981). Die Publikation wissenschaftlich ablehnender Stellungnahmen war mutig, Widerstand gegen das Regime wurde jedoch von keinem Mitglied des Lehrkörpers geleistet.

Die Entwicklung der Universität zu einer vollständig angepassten Institution vollzog sich nicht immer aus eigenem Antrieb. Die personelle Umgestaltung wurde wesentlich vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vorangetrieben. Die Ausrichtung der Forschungsinhalte an die Erfordernisse der nationalsozialistischen Ideologie und ihre Einordnung in die Rüstungsforschung betrieben die Professoren jedoch selbst.

Im Dienste des Nationalsozialismus

Die Universitätsgeschichte zwischen 1933 und 1945 lässt sich in drei Phasen gliedern, deren Übergänge fließend waren. So zog sich die Gleichschaltungsepoche, die von der Entfernung missliebiger Dozenten und zahlreichen Denunziationen geprägt war, in einigen Disziplinen bis 1938 hin. Die Phase der Selbstprofilierung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie, begann bei einigen Wissenschaftlern, etwa dem Rassenhygieniker Günther Just (1892–1950), schon vor 1933. Ihre eigentliche Dynamik entfaltete sie jedoch mit dem Übergang des NS-Regimes zur Autarkiepolitik 1936. Dieses Jahr markiert auch die Hinwendung des NS-Regimes zur kriegsnotwendigen Ressource Wissenschaft. In Greifswald bedeutete das aber keineswegs, dass die Universität systematisch auf den Kriegsbeginn 1939 vorbereitet gewesen wäre. Auch die dritte Phase, die des Wissenschaftseinsatzes für den Krieg, war nur wenig trennscharf zu fassen.

Die für die historischen Recherchen herangezogenen Archivalien konnten nicht in jedem Einzelfall Auskünfte zu den Forschungen der Greifswalder Wissenschaftler liefern. Da ihnen 1945 die Besetzung durch die Rote Armee drohte, vernichteten viele Institutsdirektoren gerade die Akten der Jahre nach 1943. So wurde beispielsweise der universitäre Schriftwechsel mit der Gauleitung in Stettin vernichtet. Er konnte auch im Stettiner Staatsarchiv nicht aufgefunden werden. Auch Akten über die Beziehungen zur Rüstungsinspektion Stettin existieren nicht mehr. Aufschlussreich waren die Aktenbestände des Reichsforschungsrats und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die sich im Bundesarchiv Berlin befinden. Sie ermöglichten Antworten auf die Frage, ob im Einzelfall mit dem Prädikat „kriegswichtiger Forschung“ auch explizit militärische Forschung gemeint war. Die Antwort liegt in einigen Fällen auf der Hand, in anderen ist sie weniger offensichtlich. An der Universität Greifswald wurde im Physikalischen, aber auch im Mineralogischen Institut Grundlagenforschung betrieben, deren militärischer Nutzen noch nicht erwiesen war. Hier muss jedoch mitgedacht werden, dass es im Interesse der Wissenschaftsbehörden lag, über das Kriegsende hinauszudenken.

Das Forschungsprojekt

Insgesamt konnten durch das Forschungsprojekt zahlreiche neue Erkenntnisse gewonnen werden. Sie betreffen den Einsatz von Kriegsgefangenen ebenso, wie die Stellung der Medizinischen Fakultät zu den rassenhygienisch motivierten Sterilisierungen. Es herrscht jetzt Klarheit über die Verbindungen zu anderen Institutionen, zum Beispiel dem Reichsforschungsrat, der Militärärztlichen Akademie und dem Marineobservatorium. Zu verschiedenen Fragen – Kampfstoffforschung, Raumordnung, Wehrphysik – konnte bisher unerforschtes Material eingesehen werden. Der am Projektende im Frühjahr 2015 erreichte Forschungsstand wird auf dieser Website dokumentiert.

Die Internetseite zum Forschungsprojekt präsentiert den aktuellen Forschungsstand.

Weitere Informationen

Sammelband von Alvermann, Dirk (Hg., 2015): „… die letzten Schranken fallen lassen“ – Studien zur Universität Greifswald im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag. - Foto: Laura Schirrmeister
Alvermann, Dirk (Hg., 2015): „… die letzten Schranken fallen lassen“ – Studien zur Universität Greifswald im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag.
Buch von Eberle, Henrik (2015): „Ein wertvolles Instrument“ – Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag. - Foto: Laura Schirrmeister
Eberle, Henrik (2015): „Ein wertvolles Instrument“ – Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag.

Koordinator des Projektes
Dr. Dirk Alvermann
Telefon +49 3834 420 1155
Telefax +49 3834 420 1159 
info.ns-zeituni-greifswaldde

Wissenschaftlicher Beirat

  • Prof. em. Frieder Dünkel
    (Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät)
  • Prof. Thomas Konrad Kuhn
    (Theologische Fakultät)
  • Prof. Harald J. Freyberger †
    (Universitätsmedizin)
  • Prof. em. Thomas Stamm-Kuhlmann
    (Philosophische Fakultät)
  • Prof. em. Klaus Fesser
    (Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät)