Das Leben in einer selbst konstruierten Umgebung setzt die klassischen Gesetze der Evolution nicht außer Kraft

Baldachinspinne in Beutefangnetz, ©Jonas-Wolff
Baldachinspinne in Beutefangnetz, ©Jonas-Wolff

Viele Spinnen gestalten ihre Umwelt durch den Bau von Unterschlüpfen, Netzen oder Kokons. Diese Bautätigkeiten verändern die unmittelbare Lebensumgebung und verbessern die Überlebensfähigkeit. Neuerdings wird heftig diskutiert, ob selbst konstruierte Umwelten auch die Evolution zukünftiger Generationen beeinflussen, indem sie die Beschaffenheit der unmittelbaren Umwelt der Nachkommen vorbestimmen. Die Auswertung der Daten von 828 Arten deute darauf hin, dass Tiere, die in einer selbst konstruierten Umgebung leben, im gleichen Maß variablen Selektionsdrücken ausgesetzt sind, wie Tiere, die sich nur in der vorhandenen Umwelt bewegen. Damit sei ein beliebtes Argument, dass die gängige Evolutionstheorie unzureichend ist, widerlegt.

Nach der klassischen Evolutionstheorie werden Körpermerkmale genetisch weitervererbt. Von verschiedenen Varianten dieser Merkmale setzen sich jene durch, die den Individuen einen Überlebensvorteil verschaffen. Ändert sich die Umwelt, können andere Merkmale vorteilhaft sein. Was passiert, wenn ein Tier aktiv in seine Umwelt eingreift und die unmittelbare Umgebung zum eigenen Vorteil verändert? Führt dies zu Gesetzmäßigkeiten, die von der gängigen Evolutionstheorie abweichen? Müsste die Evolutionstheorie, um nicht-genetische Mechanismen der Vererbung, wie die Weitergabe veränderter Umwelten, besser berücksichtigt werden?

Ein Team mit Forschenden der Universität Greifswald und der Macquarie University in Australien hat untersucht, ob das Bauverhalten bei Tieren deren Evolution beeinflusst. Sie haben die Veränderungen der Körpergrößen und -formen von Spinnen bestimmter Abstammungslinien über die Zeit analysiert und überprüft, ob sich das Aussehen der Tiere stabilisiert oder aber schneller verändert hat.

„Wir haben drei alternative Thesen überprüft. Verläuft die Evolution der Körpergröße und -form bei Spinnen, die Netze bauen, stabiler, da die Nachkommen dann eher gleichbleibenden Umwelteinflüssen ausgesetzt sind? Oder verändern sich diese Merkmale durch das Bauverhalten sogar schneller, da neue ökologische Nischen erschlossen werden? Diese beiden Szenarien sagt das Konzept der sogenannten Nischenkonstruktion vorher. Das Konzept ist ein zentrales Argument der Verfechter der ‚erweiterten Evolutionstheorie‘. Als dritte Möglichkeit verändert sich die Evolution in ihrer Dynamik nicht, wenn Bauverhalten entsteht oder verloren geht“, erläutert Dr. Jonas Wolff vom Zoologischen Institut der Universität Greifswald.

Um das Konzept zu testen, wurde eine umfangreiche Datenbank zum Aussehen und Netzbauverhalten bei über 800 Arten von Spinnen aufgebaut. Mit verschiedenen Modellrechnungen wurden Evolutionsmodelle basierend auf einem molekularen Stammbaum entwickelt, bei denen das Bauverhalten einen beschleunigenden, verlangsamenden oder keinen Effekt auf die Evolutionsgeschwindigkeit von Körpergröβe und -form hat. Für jedes dieser Modelle wurde die Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit der die beobachtete Vielfalt erklärt wird. Das Modell, das keinen Unterschied zwischen der Evolutionsdynamik von Netzbauern und netzlosen Jägern machte, konnte die Beobachtungen am besten beschreiben. Die durchschnittlichen Evolutionsraten unterschieden sich nicht oder nur geringfügig zwischen beiden Gruppen. Diese Ergebnisse zeigen, dass das Leben in einer konstruiierten Umgebung nicht zu einer Veränderung evolutionärer Gesetzmäβigkeiten führt.

Weitere Informationen
Dr. Jonas Wolff, Abteilung Allgemeine und Systematische Zoologie an der Universität Greifswald
Literatur:
Wolff J. O., Wierucka K., Uhl G., Herberstein, M. E. (2021): „Building behavior does not drive rates of phenotypic evolution in spiders“, in: Proceedings of the National Academy of Sciences, Vol. 118. https://doi.org/10.1073/pnas.2102693118  
Zum Medienfoto


Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Dr Jonas Wolff
Zoologisches Institut und Museum
Loitzer Straße 26, 17489 Greifswald
Telefon +49 3834 420 4243
j.wolff@uni-greifswald.de
ResearchGate: https://www.researchgate.net/profile/Jonas-Wolff-2
Twitter: @jonas_o_wolff

Medieninformation


Zurück zu allen Meldungen