Daten und Fakten

Die ökonomische Selbstverwaltung der Universität Greifswald in der Frühen Neuzeit

Hauptrechnung 1773-1774

In der Frühen Neuzeit nahm die Universität Greifswald unter den deutschen und auch den schwedischen Universitäten eine herausragende Rolle ein: Sie erhielt keinerlei Zuweisungen aus einer landesherrlichen Kasse. Die pommersche Universität war nicht nur ökonomisch selbstverwaltet, sondern auch eigenfinanziert.

Im Mittelalter hatte Universitätsfinanzierung hauptsächlich auf Pfründen basiert. Professoren wurden individuell von in der Regel kirchlichen Gütern und Ämtern versorgt. Im Zuge der Reformation brach dieses System zusammen. Daraufhin statteten die meisten reformierten Territorialherren ihre Universitäten als Korporationen mit bestimmten Abgaben aus. In Greifswald erhielt die Universität so Abgaben aus dem rund um die Stadt herum gelegenen herzoglichen Amt Eldena.

Als im Laufe des Dreißigjährigen Krieges Eldena aber zahlungsunfähig wurde, schenkte der letzte Pommernherzog Bogislaw XIV. seiner Universität im Jahre 1634 kurzerhand das ganze verschuldete Amt Eldena als ewiges Eigentum. Die Universität Greifswald war ab 1634 Grundbesitzerin und Gutsherrin.

Die Professoren leiteten fortan im Konzil, d.h. kollegial die akademische Finanzverwaltung. In der Ausführung wurden sie unterstützt von einem Finanzverwalter, dem sogenannten Procurator. Zu ihren Aufgaben gehörten die Fragen der Personalbesoldung, Bauverwaltung, Stiftungskapitalverwaltung und Stipendienvergabe sowie das akademische Kapitalwesen (Eigenkapitalvergabe und Kapitalaufnahme). Für die Gutsverwaltung bestellte das Konzil einen Amtmann in Eldena.

Die ökonomische Selbstverwaltung der Universität Greifswald musste immer wieder verteidigt werden. Gegen schwedisch-landesherrliche und pommersch-landständische Bestrebungen der Einflussnahme. Und insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gegen den „furor cameralisticus“: die Kontrollwut der Staatsökonomen (Kameralisten), die aufgeklärte Reformen durchsetzen wollten und nicht zuletzt zu diesem Zweck den Professoren generell ihre ökonomische und administrative Kompetenz absprachen.

Wie funktionierte die akademische Finanzverwaltung?

Wie funktionierte die akademische Finanzverwaltung?

Instruktion für den Procurator und Structuarius (1671)

Im Laufe der Frühen Neuzeit veränderten sich die Feinheiten der akademischen Finanzverwaltung natürlich immer wieder. Prinzipiell bestand sie aber aus drei Elementen:

Das Konzil, d.h. die Professorenschaft leitete die gesamte Administration. In Eldena führte ein eigens zu diesem Zweck bestallter Amtmann die akademische Gutsverwaltung. Für die akademische Finanzverwaltung war der Procurator zuständig, der in Greifswald angesiedelt war. Amtmann und Procurator waren bis zum Besitzwechsel des Amtes Eldena 1634 herzogliche Beamte. Anschließend waren sie nicht mehr unmittelbar dem Herzog sondern ausschließlich dem Konzil rechenschaftspflichtig. Zu diesem Zweck führten beide schriftliche Nachweise über ihre Tätigkeiten: Der Amtmann führte die Eldenaer Amtsbücher und der Procurator die daher sogenannten Procuraturregister. Das Konzil war wiederum dem Landesherrn, in der Person des Kanzlers, zur Rechenschaft verpflichtet.

Zu den vielfältigen Aufgaben des Procurators gehörte es alle fälligen Zahlungen einzutreiben, sämtliche Ausgaben zu tätigen, darüber Bücher zu führen und die Gebäude- und Bauverwaltung sowie die Kapitalangelegenheiten zu verwalten. Was genau zu seinen Aufgaben gehörte und wie sie auszuführen waren, wurde ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend in Instruktionen verschriftlicht. Dabei bekam der Procurator keineswegs ‚von oben‘ vorgeschrieben, wie er zu handeln hatte. Vielmehr wurde die bewährte Procuratoren-Praxis in den Instruktionen aufgegriffen und fixiert.

Die Quellen

Die Quellen

Die akademischen Rechnungsbücher dienten der Rechnungslegung; als ökonomische Rechenschaftsberichte gegenüber dem Konzil und der Landesherrschaft. In Greifswald sind zum einen die sogenannten Procuraturregister (1566-1769) überliefert und zum anderen die sogenannten Hauptrechnungsbücher (ab 1774). Sie wurden immer gegen Ende des Rechnungsjahres aus diversen Vorbüchern (Kassenbuch, Journal, Mietregister u.a.) zusammengestellt. Veränderten sich die finanzadministrativen Voraussetzungen, veränderte sich in der Regel auch die Rechnungsbuchführung:

1. Procuraturregister (Kollegium/ Schwarzes Kloster) – 1566–1671

Diese Register sind nach den beiden Standorten der Universität innerhalb der Stadt zweigeteilt: Im Kollegium (heutiges Hauptgebäude in der Domstraße) fanden hauptsächlich die Lehrveranstaltungen statt und auf dem Gelände des ehemaligen Klosters (heutiger Campus Löfflerstraße) wurde um 1570 das Konviktorium und eine der beiden universitären Bursen errichtet.

Sowohl das Kollegium- als auch das Kloster-Register bestehen jeweils aus den jährlichen Einnahmen, den Ausgaben und einer Zwischenbilanz. Das Procuraturregister schließt mit einer Gesamtbilanz, die den Vorrat für das folgende Rechnungsjahr ermittelt.

2. Procuraturregister (Project/ Extraproject) – 1646–1671

Nachdem die Universität im Visitationsrezess von 1646 zum ersten Mal einen Etat erhalten hatte, wurden neben den Kollegium/Kloster-Registern zusätzliche Jahresregister geführt, mit denen der Procurator Michael Knuth versuchte, die Vorgaben des Etats buchhalterisch umzusetzen bzw. darzustellen. Der Etat musste allerdings immer wieder an Wirtschaftsrealitäten angepasst werden, weshalb auch diese Register kein einheitliches Bild geben. Häufig wird hier zuerst das „Project“ abgebildet (im Etat definierte verlässliche Einnahmen und notwendige Ausgaben). Darauf folgt das „Extraproject“: definierte unregelmäßige Einnahmen sowie Ausgaben von nachgeordneter Bedeutung. Schließlich gibt es noch eine dritte Rubrik: „nach dem Procuraturregister“, in der vermutlich Einnahmen und Ausgaben verbucht wurden, die der Etat gar nicht erst vorgesehen hatte.

3. Procuraturregister (Gesamtuniversitär) – 1671–1769

Moevius Völschow beendete nach seinem Amtsantritt 1671 diese Unübersichtlichkeit in der Buchhaltung und etablierte gesamtuniversitäre Procuraturregister. Sämtlichen Einnahmen der Korporation folgen sämtliche Ausgaben und eine Bilanz schließt das Register. Er integrierte außerdem relativ überschaubare Schuldenkonten, zum Zweck eines verbesserten Schuldenabbaus.

Die gesamte Rechnungsbuchführung des späten 15. bis 18. Jahrhunderts zeichnet sich durch stetige Rationalisierung und Professionalisierung aus, wie beispielsweise der Einführung von Währungsspalten und arabischen Ziffern, von postenintegrierten Soll-Ist-Rechnungen zur Schuldenermittlung und von Verweisnummern auf quittierte Rechnungsbelege (Verificationen), die bei der Buchprüfung in einem eigenen Jahresband vorlagen. Außerdem lässt sich nachvollziehen, wie die Buchhaltung in der Regel an die Wirtschaftsrealität angepasst wurde. Zur Norm wurde in der Regel nur gesetzt, was sich in der finanzadministrativen Handlungspraxis bewährt hatte.

Dieses Prinzip änderte sich erst mit dem Visitationsrezess von 1775, mit dem die ökonomische kollegiale Selbstverwaltung der Universität eingeschränkt wurde. Das Amt des recht selbständigen Procurators wurde ersetzt durch einen absolut weisungsgebundenen Rentmeister, der fortan Jahresrechnungen nach einem vorgegebenen Muster („Formulair“ von 1773-1774) zu führen hatte; die sogenannten Hauptrechnungsbücher.

4. Hauptrechnungsbücher (Kontenbasiert) – ab 1774

Die Hauptrechnungsbücher sind kontenbasierte Jahresrechnungen nach den Prinzipien der doppelten Buchführung, ähnlich der heute sogenannten Doppik. Mit ihnen wurde nicht nur über die Finanzen (Einnahmen und Ausgaben) Buch geführt, sondern zum ersten Mal auch die vollständige Vermögensverwaltung (Kapitalwesen) erfasst.

Die Procuratoren

Procurator und Structuarius

  • Erasmus Scrader/Schroder [1543]
  • Erasmus Wendt [-1549]
  • Martin Sarnow [1554 -1562]
  • Jacob Bliseke [1563]
  • Nicolaus Maskow [1566] -1573
  • Bernhard Scharffenberg 1573 -1578
  • Joachim Brunnemann 1578 -1588
  • Martin Ribow 1588 -1612
  • David Reckling 1613 -1620
  • Georg Bachmann 1621 -1628
  • Heinrich Rose 1629 -1631
  • [Joachim Völschow 1632 -1633]
  • Georg Pauli 1634 -1642
  • Michael Grass 1642 -1646
  • Michael Knuth 1646 -1669
  • Moevius Völschow 1669 -1707
  • Petrus Haselberg 1707 -1713
  • Christoph Nürenberg 1713 -1750
  • Georg Balthasar Nürenberg 1750 -1751
  • Johann Georg Mayer 1751 -1775
Leichenpredigt des Procurators Michael Knuth [1646–1669]

Der akademische Finanzverwalter wurde als Procurator und teilweise synonym auch als Structuarius bezeichnet. Als Procurator war er für Geldangelegenheiten zuständig; als Structuarius beaufsichtigte er die Gebäudeverwaltung. Beide Aufgabenbereiche sind an der frühneuzeitlichen Universität Greifswald stets in Personalunion wahrgenommen worden. Die Amtsinhaber kamen häufig aus Greifswald und hatten in der Regel dort Rechtswissenschaften studiert. Für manche von ihnen war das akademische Procuratorenamt eine erste Stufe auf dem Weg einer juristischen und administrativen Karriere, z.B. an das Hofgericht oder in städtische Dienste. Andere leisteten jahrzehntelang Dienst bei der Universität und entwickelten sich zu verlässlichen Experten. Die besonders langgedienten Procuratoren waren auch die erfolgreichsten – oder vice versa. Durch eigene Schwerpunkte in der Administration bestimmten sie diese und die Buchhaltung maßgeblich und nahmen so großen Einfluß auf die finanzadministrativen Entwicklungen der Universität.

Martin Ribow [Procurator 1588–1612] gelang es beispielsweise die Fertigstellung des ersten Greifswalder Kollegiengebäudes zu sichern, nachdem der Bauherr und Hauptfinanzier Herzog Ernst Ludwig 1592 – ein Jahr nach Baubeginn – verstarb.

Michael Knuth [Procurator 1646–1669] hatte bereits ab 1634 als Universitätssekretär die Administration des neuen akademischen Amtes aufgebaut, als er die Procuratur 1646 übernahm und unmittelbar die neuen Etat-Vorgaben in die Buchhaltung versuchte zu integrieren.

Moevius Völschow [Procurator 1669-1706] vereinfachte nicht nur die Buchhaltung enorm, sondern schaffte es auch den seit den 1630er Jahren fortschreitend verschuldeten Universitätshaushalt im Jahr 1693 zu konsolidieren. Nachdem er 1697 in den Stadtmagistrat gewählt worden war, löste das wegen zu erwartender Loyalitätskonflikte bei einigen Universitätsverwandten Unmut und Proteste aus. Den Streit löste erst der schwedische König Karl XII. höchstpersönlich, der Völschow aufgrund seines hervorragenden Rufes ausnahmsweise gestattete, als Universitätsbediensteter auch im Magistrat zu sitzen.

Christoph Nürenberg [Procurator 1713-1750] führte die Universität erfolgreich und rasch aus der durch den Großen Nordischen Krieg bedingten Wirtschaftskrise. Unter seiner Amtszeit erweiterte die Korporation durch verzinste Eigenkapitalvergabe in der Region erstmals ihr Vermögen. Sein Tod im Jahr 1750 stürzte die akademische Finanzverwaltung (neben einem aus dem Ruder gelaufenen Großbauprojekt und Inflation) in eine tiefe Krise, die in die Beschränkung der akademischen Selbstverwaltung mündete.

Wissenschaftliche Aufarbeitung

Wissenschaftliche Aufarbeitung

Ausgaben der Universität Greifswald [...]-[...]

Die Finanzverwaltung der grundbesitzenden Universität Greifswald wurde erstmals im Speziellen, mit besonderem Fokus auf den Visitationen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und den Entwicklungen im 19. Jahrhundert, von Eduard Baumstark anlässlich des fünfzigsten Jahrestages des Übergangs Schwedisch-Pommerns an das Königtum Preußen bearbeitet. Er beschreibt nicht nur die Verwaltung und insbesondere Leistungen und Mängel der professoralen Finanzverwaltung sondern führt außerdem einen tabellarischen Anhang mit Auszügen aus vereinzelten akademischen Rechnungsbüchern (Baumstark: Die Universität Greifswald vor hundert und vor fünfzig Jahren. Akademische Festschrift der fünfzigjährigen Angehörigkeit Neuvorpommerns und Rügens zum Königreich Preußens, Greifswald 1866).

Knapp 60 Jahre später beschrieben und verteidigten der Historiker Fritz Curschmann und die beiden Rechtswissenschaftler Günther Holstein und Heinrich Triepel in drei gemeinsam veröffentlichten knappen „Gutachten“ die selbständige Güter- und Vermögensverwaltung der Universität Greifswald. Zu diesem Zweck stellen sie die Ursprünge, rechtlichen Grundlagen und Entwicklungen der ökonomischen Selbstverwaltung dar (Curschmann/Holstein/Triepel: Stiftungsvermögen und Selbstverwaltungsrecht der Universität Greifswald. Drei Gutachten, Greifswald 1925).

Im Rahmen ihrer Dissertation wertete Elisabeth Heigl 30.000 Seiten akademischer Rechnungsbücher statistisch aus, um die Funktionsweisen und Strategien einer korporativen Finanzverwaltung in der Frühen Neuzeit detaillierter zu untersuchen. Sie beschreibt die Funktionsweise der Finanzverwaltung und analysiert die ökonomischen Bereiche einer frühneuzeitlichen Universität: Personalbesoldung, Gebäudeerhalt und –bau, Stiftungs- und Stipendienverwaltung sowie das akademische Kapitalwesen:
Heigl: Zwischen Selbstverwaltung und furor cameralisticus. Die Finanzverwaltung der Universität Greifswald 1566-1806 (Beiträge zur Geschichte der Universität Greifswald 13), Stuttgart 2020 (Inhalt & Einleitung).

Das aus den Rechnungen extrahierte Zahlenmaterial, das der Dissertation zugrunde liegt, liegt in Tabellenform (OpenDocument Spreadsheet) vor und kann unter  "Tabellarische Baisdaten zum Download" kostenfrei heruntergeladen werden.

 

Tabellarische Basisdaten zum Download

Einnahmen und Ausgaben

Einnahmen und Ausgaben der Universität Greifswald 1646-1813
CC BY-NC 4.0

Lehrerbesoldung

Lehrerbesoldung an der Universität Greifswald 1688-1807
CC BY-NC 4.0

Bursenheuer

Raumbelegung Burse und Regentie der Universität Greifswald 1571-1721
CC BY-NC 4.0

Eigenkapital

Erträge von Eigenkapital für die Universität Greifswald 1727-1769
CC BY-NC 4.0

Schulden

Kapital und Schulden der Universität Greifswald 1773-1807
CC BY-NC 4.0

Don Gratuit

Don Gratuit für die Universität Greifswald
CC BY-NC 4.0

Beamtenbesoldung

Besoldung des Administrations- und Dienstpersonals an der Universität Greifswald 1646-1807
CC BY-NC 4.0

Stipendiaten

Stipendiaten der Universität Greifswald 1670-1796
CC BY-NC 4.0

Außenstände

Eigen- und Stiftungskapitalvergabe der Universität Greifswald 1670-1806
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Schuldner

Schuldner der Universität Greifswald 1730-1750
CC BY-NC 4.0

Professorenbesoldung

Professorenbesoldung an der Universität Greifswald 1646-1807
CC BY-NC 4.0

Baukosten

Baukosten der Universität Greifswald 1646-1806
CC BY-NC 4.0

Stiftungskapital

Stiftungskapital und Erträge für die Universität Greifswald 1670-1807
CC BY-NC 4.0

Fremdkapital

Fremdkapital und Zinsenausgaben für die Universität Greifswald 1670-1808
CC BY-NC 4.0

Gläubiger

Gläubiger der Universität Greifswald 1675-1795
CC BY-NC 4.0